„Ziviler Ungehorsam gegen rechte Aufmärsche“ ist der Titel eines Textes von Peter Zimmermann, den das Aktionsnetzwerk Jena im Jahr 2008 veröffentlichte. Der Oberkirchenrat a.D. fand mit seinen Thesen damals bundesweit starke Beachtung. Die öffentliche Debatte über zivilen Ungehorsam in Jena ist in den letzten Jahren weitestgehend verstummt. Wir möchten mit diesem Text aktuell Position beziehen und zum konstruktiven Dialog auffordern.

Was ist ziviler Ungehorsam?

Ziviler Ungehorsam ist eine bewusste Regelverletzung bzw. Gehorsamsverweigerung. Er ist Ausdruck emanzipatorischen und moralischen Handelns. Wir selbst sind verantwortlich und bereit Verantwortung zu übernehmen. Damit unterscheidet er sich grundlegend von den Rufen nach einem „repressiven Staat“, der mit Verboten „das Schlechte“ verhindern soll. Er kann sowohl gegen Angriffe auf die fundamentalen Grund- und Menschenrechte politischer Gruppen als auch gegen staatliches Unrecht oder staatliche Korruption, Aufrüstung, Krieg oder Umweltzerstörung eingesetzt werden. Dabei geht es nicht um die Infragestellung der Demokratie oder des Rechtsstaates. Der Staat oder die Polizei werden nicht pauschal als Gegner betrachtet. Es geht vielmehr um die Skandalisierung von Unrecht und um die Entschlossenheit, sich gegen rassistische, nationalistische und menschenverachtende Demagogen zu positionieren. Dabei soll deren unwidersprochener Entfaltung im öffentlichen Raum begegnet werden.

Legitim aber nicht legal!

Das Bewusstsein legitim aber nicht legal zu handeln setzt hohe Hürden. Wer den Rechtsstaat akzeptiert, aber Regeln oder Gesetze verletzt, muss mit Sanktionen rechnen. Die Bereitschaft solche Sanktionen hinzunehmen, gehört zur bewussten individuellen Endscheidung eines jeden Akteurs. Diese Sanktionen unterscheiden sich klar von Repression und Kriminalisierung, wie in Dresden 2011 oder beim schwarzen Donnerstag 2010 in Stuttgart. Die gegenseitige Solidarität und das massenhafte Auftreten sollen den Einzelnen vor Repressionen schützen.

Regelverletzung nicht ohne Regeln

Was Bedeutet für uns das „Zivil“ beim Ungehorsam? Ziviler Ungehorsam kann nur von der Zivilgesellschaft, also abseits staatlicher oder wirtschaftlicher Strukturen geleistet werden. „Zivile“-Aktion ist verbunden mit einem Aktionskonsens, mit basisdemokratischer Selbstorganisation, mit öffentlichem Auftreten und breiter Anschlussfähigkeit.

Aktionskonsens:

Ziviler Ungehorsam ist eine friedfertige Aktionsform. Trotzdem kann es zu Eskalationen kommen, die von “politischen Gegnern“ oder auch der Polizei herbeigeführt werden. Der Wasserwerfer-Einsatz in Stuttgart, überfälle von Nazis oder Attacken auf Journalisten am Rande von Pegida- Demonstrationen sind Beispiele dafür. Auch kann die Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch Blockaden als Akt der Gewalt (Nötigung, psychische Gewalt) gewertet werden. Immer wieder wird Demonstranten bei der Räumung von Blockaden „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ (passive Gewalt) vorgeworfen. Auch wenn man alles für die Vermeidung einer Eskalation unternimmt, kann man deren Auftreten nie völlig ausschließen. Ein Aufruf zu „gewaltfreier Aktion“ wäre bereits im Vorfeld eine Entsolidarisierung mit möglicherweise Betroffenen. Der Aufruf zur Friedfertigkeit unterstreicht hingegen die Absicht und wird meist mit der Aussage „... von uns wird keine Eskalation ausgehen...“ beschrieben.

Basisdemokratische Selbstorganisation:

Ziviler Ungehorsam, wie „massenhafte Menschenblockaden“ brauchen keine Anführer. Basisdemokratische Mechanismen lassen sich am besten umsetzen, wenn sich die Beteiligten in Bezugsgruppen organisieren und eine Moderation angeboten wird. Die Bezugsgruppen sind entscheidend für den Erfolg der Aktion und tragen darüber hinaus. Sie stellen den Einzelnen in einen sozialen Kontext und ermöglichen eine gemeinsame Reflexion. Das aufeinander achten in der Bezugsgruppe erhöht die Sicherheit der Einzelnen. Vor der Aktion wird das jeweilige Aktionslevel besprochen und vereinbart. So und mit weiteren technischen Hilfsmitteln wie Aktions- Handzeichen können auch große Gruppen schnell und effektiv kommunizieren und gemeinsam zu einer Entscheidung kommen.

öffentliches Auftreten und breite Anschlussfähigkeit:

„Für uns zählt nicht der Heldenmut des Einzelnen, sondern die Entschlossenheit vieler“ und „Wir sagen was wir tun und wir tun was wir sagen“ sind Leitgedanken des Aktionsnetzwerks. Diese zunächst einleuchtend klingenden Sätze haben weitgehende Konsequenzen. Einerseits macht die öffentlich angekündigte Regelverletzung institutionell etablierten oder gebundenen Akteuren die Unterstützung schwer. Andererseits ergibt sich daraus der Verzicht auf eine klare „Szeneorientierung“ als möglichen „Mobilisierungs-Motor“. So bedarf es einer starken aktionsbereiten Zivilgesellschaft. Ist diese nicht vorhanden, wird ein großes „Erregungslevel“ benötigt, um aktiv zu werden. Die konsequente Ehrenamtlichkeit schließt eine delegierende Arbeitsweise aus. Ist eine Aktion auch noch so sinnvoll und gewollt – finden sich keine aktiven Unterstützer, wird sie nicht stattfinden.

Ignorieren Hilft Nicht – Gesicht zeigen!

Haben gewisse Zustände erst einmal Platz im Alltag errungen, wird eine Skandalisierung immer schwieriger. Das viel beschworene „Gesicht zeigen“ wird angesichts der Gewaltbereitschaft der politischen Gegner und der möglichen Repression durch Polizei und Justiz zur Herausforderung. Dennoch oder gerade deshalb ist es ein wohl entscheidender Maßstab für die Verfasstheit einer Gesellschaft. Der sich anonymisierende, auf wenige exponierte „Politprofis“ reduzierte politische Diskurs ist die Kapitulation einer vitalen Demokratie. So bleibt es für uns dabei, auch mit Aktionen des ziviln Ungehorsams öffentlich Gesicht zu zeigen und weitere Unterzeichner für öffentliche Erklärungen zu suchen. Damit uns weiterhin zahlreiche Unterstützer zur Seite stehen, bieten wir öffentliche Plena, einen Newsletter und verschiedene ständige Arbeitskreise an.

Kritik:

Sich einem kritischen Diskurs zu öffnen ist unsere grundsätzliche Haltung und auch Voraussetzung für die eigene Entwicklung. Eine besondere Zuspitzung der Diskussion war stets mit dem Thema ziviler Ungehorsam verbunden. Fundamentale Kritiker sehen in jeder Regelverletzung eine Gefährdung der Demokratie. Blockaden werden als gesetzeswidrige Straftaten definiert und unter dem Motto „...die sind auch nicht besser als...“ teils haarsträubende Vergleiche angestellt.

Moderate Kritik dreht sich um die Frage, ab welcher „Schwelle“ das Mittel des zivilen Ungehorsam legitim ist und welche Voraussetzungen für erfolgreiche Aktionen erfüllt sein müssen. Fragen, die immer wieder neu auf der Tagungsordnung stehen, im Kontext des Anlasses diskutiert und letztlich von den Akteuren individuell entschieden werden müssen.

Vernetzung – Bündnispolitik:

Sich breit zu verankern bedeutet auch immer Bündnispartner zu finden und so ein großes politisches Spektrum einzubinden. Als einer der Initiatoren des 2009 gegründeten Bündnisses „Dresden Nazifrei“ und mit langjährigen Erfahrungen mit Partnern z.B. in Jena, Weimar, Gera oder Pößneck, bekennen wir uns klar zur übergreifenden Zusammenarbeit. Ein Beteiligung ist uns jedoch nicht möglich, wenn ein Dialog auf Augenhöhe nicht gegeben ist oder unsere Konzepte und Prinzipien auf starke Ablehnung stoßen.

Für das ANW:

Eckart Hesse, Wolfhard Pröhl, Jette Franz, Hagen Reißig, Christian Engelhardt, Volker Dörsing, Lucas Hesse

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