Gescheitert ist nicht nur der Heß-Marsch, sondern auch die Militarisierungstaktik der Polizei
Das Aktionsnetzwerk sieht den Verlauf des 17. August als einen großen Erfolg für die Zivilgesellschaft. Viele hundert Jenaer*innen haben an diesem Tag aktiv und entschlossen bewiesen, dass sie nicht bereit sind, die Straßen ihrer Stadt dem Hass und der Hetze der Nazis zu überlassen. Dass es der Mehrheit der Gegendemonstrant*innen nicht gelang, direkt auf die Aufmarschstrecke im Damenviertel zu gelangen, lag allein an der rigorosen Abriegelungstaktik der Polizei und dem massiven Einsatz von Pfefferspray gegen die Demonstrierenden. Ganz besonders begeistert sind wir von der Breite, Kreativität und Entschlossenheit des Widerstands, den gerade die Bewohner*innen des Damenviertels an den Tag gelegt haben. Von der Kreideaktion am Vortag über die vielfachen Initiativen zu Picknicks und spontanen Treffen auf den Straßen des Viertels und aus den Fenstern zeigten die Anwohner*innen ihre Ablehnung der Hassparolen und des provozierende Auftreten der Nazis teils lautstark, teils feucht-fröhlich. Ohne die Initiative der Bewohner*innen des Damenviertels selbst wäre es nicht gelungen, das Abriegelungskonzept der Polizei ins Schwimmen zu bringen und den Nazis um den Hassprediger David Köckert eine letztlich schmachvolles Scheitern beizubringen. Hierfür gebührt allen Anwohner*innen, die in den letzten zwei Tagen in der einen oder anderen Form Zivilcourage bewiesen haben, ein aufrichtiges „Danke, Ihr wart großartig!“
Weniger erfreulich war das Agieren der Polizeieinheiten aus Thüringen und Sachsen, die mit der Umsetzung ihrer Vorgaben streckenweise völlig überfordert waren. Unter anderem am Philosophenweg und bei der Rückführung der Nazis zum Saalbahnhof kam es zu vollkommen unverhältnismäßigen Übergriffen der Polizei mit erheblichem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken. Etliche Demonstrierende wurden verletzt. Die Polizei versuchte das überharte Vorgehen am Philosophenweg durch die nachweislich falsche Behauptung zu rechtfertigen, der „Durchbruch“ dort sei von „100 Vermummten“ versucht worden. Richtig ist, dass sich die Protestierenden hier parallel zur fast 200 Meter entfernten Marschstrecke bewegten, zum fraglichen Zeitpunkt hatten sie keine Anstalten gemacht, dorthin abzubiegen. Von massenhafter Vermummung konnte bei dem Spektrum, das hier angegriffen wurde, nicht die Rede sein, die Personen handelten entschlossen, waren aber nicht an Eskalation interessiert. Dieser Vorfall, aber auch viele andere an diesem Tag belegen: die Illusion, eine nazistische Hassveranstaltung wie die gestrige gegen den erbitterten Widerstand großer Teile der Bevölkerung mit militärischen Mitteln durchsetzen zu können, ist eben das – eine Illusion.
Überdeutlich wurde das nach 22 Uhr: Etliche hundert Menschen blockierten auch dann noch entschieden, hartnäckig und aus eigener Initiative den Weg der Nazis. Diese breite Entschlossenheit ist auch das Ergebnis der wiederholten Erfahrungen von Machtlosigkeit und Demütigung, die zivilgesellschaftlich engagierten Menschen in den letzten Monaten durch die rigorose Durchsetzung von Naziveranstaltungen zugemutet wurden. Dass es dabei trotz allem praktisch vollkommen friedlich geblieben ist, ist der Besonnenheit der vielen entschlossenen Menschen auf den Jenaer Straßen zu verdanken. Obwohl Thügida-Chef David Köckert mit ellenlangen Tiraden wüstester Beschimpfungen wieder auf nichts anderes aus war, als auf das Provozieren der immer wieder in der Lokalpresse skandalisierten „linken Gewalt“, gelang ihm dies nicht. Stattdessen stellten sich ihm und seinen Kumpanen Hunderte bestimmt, aber ohne Aggression entgegen und erzwangen zunächst eine Routenverkürzung und später sogar die eilige Rückführung der Nazis zum Saalbahnhof.
Völlig unverständlich blieb, warum die Polizei auch nach der offiziellen Auflösung der Veranstaltung, also nach Ende des bis 22 Uhr angemeldeten Versammlungszeitraums, die Thügidisten lautstark bis zum Saalbahnhof ziehen ließen. Sie marschierten hämisch feixend mit ihren Fackeln und Sarg an den blockierenden Jenaer*innen vorbei. Der Bratwurstwagen Thügidas spie noch weit über 22 Uhr den Hass Köckerts in das Viertel und spielte unter anderem Musik der als kriminelle Vereinigung verurteilten Band „Landser“. Wir empfinden dies als Schlag ins Gesicht der Menschen im Damenviertel, die friedlich und in vorbildlicher Weise ihre Überzeugungen von Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz gezeigt und aktiv vertreten haben.
In der Bilanz sieht das Aktionsnetzwerk im Verlauf des gestrigen Tages einen absoluten Höhepunkt der demokratischen Kultur in dieser Stadt. Zu hoffen bleibt, dass nun endlich auch bei Stadtverwaltung und Polizei ein Umdenken und eine Abkehr von der erfolglosen Strategie immer weiterer Aufrüstung einsetzen wird.