Dresden stellt sich querAls Ergebnis des Bilanz- und Auswertungstreffen am 14. Mai hat das Bündnis "Dresden Nazifrei" den Auswertungstext zu den Protesten gegen die Naziaufmärsche in Dresden veröffentlicht.

Nach wie vor sind Personen, die sich an den Protesten am 13. und 19. Februar in Dresden beteiligt haben, von Repressionen betroffen. Tretet über die Mailadresse Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! mit dem Bündnis in Verbindung, falls ihr Repressionen zu befürchten habt.

Der juristische Nachgang der Ereignisse verursacht auch Kosten! Bitte unterstützt das Bündnis durch Spenden. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Seite des Bündnisses.

Der Erfolg

Die erstmalige Blockade des Naziaufmarsches im Gebiet der Dresdner Neustadt 2010 war ein großer politischer Erfolg. Auf diesen galt es aufzubauen, anzuknu?pfen und vor allem, dies 2011 zu wiederholen.

Auch wenn am 13. Februar eine vollsta?ndige Verhinderung des Nazi- Aufmarsches nicht gelungen ist, sehen wir es als einen Erfolg an, dass wir im Rahmen einer regionalen Mobilisierung mehrere tausend Menschen zu einem Protest in Sicht- und Ho?rweite bewegen konnten – ein erster Schritt und Fingerzeig fu?r die erfolgreiche Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch am darauf folgenden Wochenende. Die Verhinderung des Naziaufmarsches am 19.02.2011 hingegen war ein politischer Sieg. 20.000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet folgten dem Aufruf von Dresden Nazifrei! und blockierten den Naziaufmarsch.

Mag es im Vorjahr noch Zweifel an der Wirksamkeit unserer Blockaden gegen Nazigroßaufma?rsche gegeben haben, am 19.02.2011 wurden diese ausgera?umt. Entschieden in unserer Absicht und breiter aufgestellt als noch im letzten Jahr gelang es dem Bu?ndnis „Dresden Nazifrei!“ zum zweiten Mal in Folge, den Naziaufmarsch zu verhindern. Wa?hrend der Erfolg von 2010 letztendlich im Zusammenspiel mit einer den polizeilichen Notstand in Kauf nehmenden Ordnungsbeho?rde erreicht wurde, haben wir ihn in diesem Jahr gegen Stadtverwaltung, Gerichte und Polizei erka?mpft: Trotz deren erkennbaren Interesses, den Nazis ihren Aufmarsch mit allen Mitteln zu ermo?glichen, konnte dieses Ziel nicht erreicht werden.

Sowohl die Menschenkette am 13. Februar als auch die vielen kirchlichen Mahnwachen waren wichtige Zeichen der Zivilgesellschaft gegen den Naziaufmarsch. Letztendlich wurde der Aufmarsch am 19. Februar jedoch durch den couragierten und entschiedenen Einsatz tausender BlockiererInnen verhindert. Sie gingen auch gegen die Androhung polizeilicher Gewalt und juristischer Verfolgung entschlossen auf die Straße. Die kulturelle Unterstu?tzung an den Blockadepunkten wirkte motivierend und deeskalierend. Sie versta?rkte so eine positive Wahrnehmung in der O?ffentlichkeit und erleichterte Unerfahrenen den Zugang zu unseren Blockaden.

An diesem Tag trugen viele ihre Meinung auch entgegen den Anstrengungen der Exekutive erfolgreich auf die Straße. Daraus ergibt sich eine u?ber den tempora?ren Erfolg der Verhinderung des Nazi-Aufmarsches hinausgehende aktionistische Perspektive der Mobilisierung 2011, welche es zu konsolidieren und zu verbreitern gilt.

Trennungsgebot gescheitert, Handlungsspielra?ume erweitert

Wir haben bewiesen, dass auch ein 'Trennungsgebot', das Stadtverwaltung, Justiz und Polizei gemeinsam verfolgten, nicht gegen den Willen vieler GegendemonstrantInnen durchzusetzen ist. Wir haben als Bu?ndnis klar angeku?ndigt, dass wir uns unser Recht auf Protest nicht nehmen lassen werden. Am Ende gelang die Umgehung der sta?dtischen Taktik der großra?umigen »Lagertrennung« jedoch vor allem, weil alle anreisenden Protestierenden bereit waren, die Anku?ndigung umzusetzen und von den Autobahnen in die Stadt zu laufen. Die angeku?ndigte und durchgefu?hrte Erweiterung des Aktionsraumes war ausschlaggebend fu?r den Erfolg des Konzeptes am 19. Februar 2011.

Wie schon in anderen Sta?dten sind dank einer breiten Unterstu?tzung des Bu?ndnisses – durch Teile der radikalen Linken, zivilgesellschaftlichen Initiativen, Gewerkschaften, Linkspartei, Gru?ne, Teilen der SPD sowie Einzelpersonen – und seine bessere Verankerung vor Ort auch in Dresden Blockaden mittlerweile ein gesellschaftlich breiter anerkanntes Mittel gegen die Verbreitung menschenverachtender und geschichtsrevisionistischer Ideologien.

Nach dem Erfolg 2010 wurden das Bu?ndnis »Dresden Nazifrei!« und sein Unterstu?tzerInnenkreis auch von Seiten der Medien als ein entscheidender Akteur gegen das Nazi-Prestigeevent in den Medien wahrgenommen. Diese neue Pra?senz, die wir uns im vergangenen Jahr erarbeitet haben, entfachte eine politische Debatte in der lokalen O?ffentlichkeit und half bei einer breiteren Mobilisierung vor allem in Dresden. Eine kontinuierliche Pressearbeit machte dies mo?glich.

Von Dresden gehen damit wichtige Signale des Protestes und des zivilen Widerstandes gegen Naziaufma?rsche u?berall im Bundesgebiet aus, genauso wie gegen eine weltfremde und obrigkeitsstaatliche Praxis.

Unser Bu?ndnis und das Blockadekonzept waren gegen Stadtverwaltung, Justiz und Polizei erfolgreich. Diese versuchten mit allen Mitteln, den Protest vom Naziaufmarsch fern zu halten. Welch harte Linie die Verwaltung, unterstu?tzt von der sa?chsische Justiz, in diesem Jahr verfolgte, wurde schon deutlich am unzureichend begru?ndeten faktischen Verbot des Mahngangs »Ta?terspuren«. Sowohl die Stadt Dresden als auch die sa?chsischen Gerichte bewiesen einmal mehr, dass ein kritischer Umgang mit dem lokalen Gedenken als auch mit der eigenen Vergangenheit an einem Tag wie dem 13. Februar in Dresden nicht erwu?nscht ist. Um dieser Praxis der ordnungspolitischen Ignoranz gegenu?ber unserem Anliegen der historischen Einordnung entgegenzutreten, fanden sich mehrere hundert Menschen zusammen, um den Versuch zu wagen, den faktisch verbotenen Mahngang dennoch durchzufu?hren.

Ein rigides Trennungskonzept, das die GegendemonstrantInnen ra?umlich weit entfernt von den Nazis protestieren lassen wollte und die Elbe als Trennlinie vorsah, konnte die Polizei nicht aufrecht erhalten. Grund dafu?r waren die vielen Menschen, welche organisiert und entschlossen das vorher transparent kommunizierte Aktionskonzept anwandten. Viele Polizeieinheiten versuchten, ihre aus unserem entschlossenen Agieren resultierende U?berforderung durch unverha?ltnisma?ßige Gewalt wettzumachen.

Ab dem fru?hen Morgen gipfelte diese U?berforderung im massiven Einsatz von Pfefferspray, Pepperballgewehren und Schlagsto?cken, sowie Wasserwerfereinsa?tzen trotz Minusgraden. Dies fu?hrte unter den Protestierenden zu zahlreichen- teils Schwerverletzten. Die Entschlossenheit Vieler, sich vom brutalen Vorgehen der Polizei nicht einschu?chtern zu lassen, machte einen großen Teil des Erfolgs des Tages aus. Das solidarische und spektrenu?bergreifende Zusammenwirken der durch diverse Akteure breit zusammengesetzten Aktionsfinger war hierfu?r ausschlaggebend.

 

Die Anku?ndigung, dass von unseren Blockaden keine Eskalation ausgeht, wurde eingehalten. Dies auch, weil sich an den Blockadepunkten – trotz des provozierenden Verhaltens der Polizei – aktiv um die Einhaltung des Aktionskonsens bemu?ht wurde. Dieser Konsens, der Distanzierungen ablehnt, aber gleichzeitig deutlich macht, dass von uns keine Eskalation ausgeht, hat an vielen Stellen hervorragend geklappt. Wir kritisieren jedoch diejenigen, die den Aktionskonsens bei den Massenblockaden gebrochen haben. Angriffe aus dem Schutz der Blockaden (etwa Steinwu?rfe u?ber SitzblockiererInnen) oder brennende Barrikaden in deren Windschatten sind unsolidarisch, gefa?hrden andere Menschen und auch die gemeinsam errungenen Erfolge.

Fest steht: Die Ausschreitungen des Tages hat die Polizei zu verantworten. Sie hat von Anbeginn klar auf Konfrontation gesetzt, indem sie jeglichen wirksamen Protest gegen den Naziaufmarsch konsequent unterbinden wollte und die Ermo?glichung der Nazidemonstration als oberstes Handlungsgebot ausrief. Diesen Umgang aller staatlichen Organe mit einem der ja?hrlichen Großereignisse der Nazi-Szene gilt es zu thematisieren, aufzuarbeiten und zu kritisieren.

Kriminalisierung des Bu?ndnisses

Wa?hrend friedliche Demonstranten bereits am Morgen gezwungen wurden, unter Polizeibewachung von der Autobahn Richtung Innenstadt zu laufen, bewegten sich gewaltbereite Nazis frei durch die Stadt. Am Nachmittag konnten u?ber hundert Nazis unbehelligt das alternative Wohnprojekt Praxis angreifen, derweil die Polizei aggressiv gegen unsere Blockaden vorging. Spa?ter kesselten Beamte BlockadeteilnehmerInnen und nahmen deren Personalien auf. Sie legten so die Grundlage fu?r die staatsanwaltschaftliche Einschu?chterung und Kriminalisierung von Menschen, die sich aus Gewissensgru?nden und mit Entschlossenheit den Nazis entgegenstellten.

Am Abend des Protesttags sendeten die Medien Bilder vom Polizeieinsatz, die an Aufstandsbeka?mpfung erinnerten – wobei undifferenziert und mit Ha?rte gegen jegliche GegendemonstrantInnen vorgegangen wurde. Gleichzeitig stu?rmte ein Sondereinsatzkommando das Haus der Begegnung. 22 Personen, darunter auch VertreterInnen der Pressegruppe des Bu?ndnisses, wurden in einem vo?llig u?berzogenen Einsatz festgenommen, durchsucht, gefesselt und teils bis in die fru?hen Morgenstunden in Gewahrsam genommen. Daru?ber hinaus wurde Technik beschlagnahmt, sowie ein Anwaltsbu?ro und eine Privatwohnung aufgebrochen und durchsucht.

Wir werden uns durch derartige staatliche Repression weder einschu?chtern noch spalten lassen. Wir sind weiterhin solidarisch mit allen, die mit uns gemeinsam den Naziaufmarsch verhindert haben. Unser Dank gilt allen, die mit uns gemeinsam auf der Straße waren und den Erfolg des Tages ermo?glichten.

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