Der AK "Sprechende Vergangenheit" hat am 28. Januar 2010 mit einem offenen Brief zur Peter-Petersen-Diskussion in Jena und zur bevorstehenden Entscheidung im Kulturasschuss der Stadt Stellung genommen und einen Vorschlag zur künftigen Benennung des Platzes an der Wöllnitzer Straße / Ecke Friedrich-Engels-Straße und zu einer künftigen kreativen öffentlichen Nutzung unterbreitet.

Der Offene Brief ging an die Mitglieder des Kulturausschusses, an den OB Dr. Albrecht Schröter, die Fraktionen im Jenaer Stadtrat, an die Leitung der Jenaplanschule sowie an den Jenaer Presseverteiler.

Offener Brief

Der Arbeitskreis „Sprechende Vergangenheit“ ist eine Arbeitsgruppe im Rahmen des Jenaer Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus. In ihr arbeiten Historiker und historisch interessierte Laien zusammen mit dem Ziel, die lokalgeschichtliche Erinnerung an Nationalsozialismus und Krieg wach zu halten und im Sinne einer Verpflichtung gegenüber einer demokratischen Gegenwart und Zukunft in Jena zu befördern.

Wir möchten uns mit diesem Offenen Brief an den Kulturausschuss der Stadt Jena zu der Frage zu Wort melden, wie mit dem „Petersen-Platz“ an der Wöllnitzer Straße verfahren werden sollte.

In der Erinnerungskultur der Stadt Jena steht derzeit die heftige Diskussion um die Person des Vaters der Jenaplan-Pädagogik Peter Petersen auf der Tagesordnung, seit durch die Veröffentlichung von Benjamin Ortmeyer die ideologische Verstrickung Petersens mit dem Nationalsozialismus und sein mehr als nur als taktische Anpassung zu wertendes Verhalten während der NS-Zeit thematisiert wurden.

Die Debatte führte einerseits zu zahlreichen, teils heftigen Wortmeldungen von älteren Menschen, die die Person Peter Petersen und auch den eigenen Schulalltag an der Jenaer Universitätsschule während der NS-Zeit durchweg als nicht indoktrinär im Sinne der NS-Ideologie bestimmt, sondern im Gegenteil als menschenfreundlich und einem freiheitlichen Menschenbild verpflichtet erinnerten.

Andererseits sieht man sich in Jena nun mit der Entscheidung konfrontiert, wie mit dem 1990 in ehrender Absicht vorgenommenen Namensumbenennung des ehemaligen Karl-Marx-Platzes an der Wöllnitzer Straße/Friedrich-Engels-Straße in „Petersen-Platz“ in historisch verantwortungsvoller Weise zu verfahren sei. Ganz ähnlich wird derzeit deutschlandweit an zahlreichen Petersen-Schulen darüber diskutiert, die eigene Schule umzubenennen, und auch in Jena wird von verschiedenen Seiten gefordert, den Namen Petersen bei der Platzbenennung zu tilgen.

Um eine nur vordergründige Entscheidung pro oder contra Petersen zu vermeiden, sahen sich die eine kommunale Erinnerungskultur mitgestaltenden Vertreter der Stadt Jena (Oberbürgermeister, Stadtrat und Kulturausschuss, Runder Tisch für Demokratie, nicht zuletzt: die Jenaplanschule) dazu veranlasst, eine gründliche Aufarbeitung der historischen Fakten und ihrer zeitgeschichtlichen und ideologiegeschichtlichen Hintergründe zu befördern. Dies ist in mehreren öffentlichen Rathausveranstaltungen und mit namhafter wissenschaftlicher Beteiligung geschehen. Wichtig war dabei auch, dass der erziehungswissenschaftliche Kontext, die Fragen nach der historischen Einbindung der Reformpädagogik insgesamt und ihrer demokratischen Würdigung aus heutiger Sicht miteinbezogen werden konnten. So vertrat - ein gewichtiges Argument - der ehemalige Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Wolfgang Edelstein die Auffassung, dass es bei der Debatte notwendig sei, die Diskussion um die historische Person Peter Petersen von der Debatte um den „Jenaplan“ und generell um die Chancen einer „guten Schule“ getrennt zu halten.

Diese intensive Diskussion ist ein gutes Beispiel zivilgesellschaftlicher Offenheit und Verantwortung und ehrt die Stadt Jena. Die Entscheidung steht nun an, wie mit der Platzbenennung zu verfahren ist.

Der „Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit“ möchte hierzu den folgenden Vorschlag unterbreiten:

  1. Der Name „Petersen-Platz“ sollte nicht beibehalten werden; eine Platzbenennung hat eine im Wesentlichen ehrende Funktion; diese kann nicht aufgeteilt werden in zu ehrende Aspekte und nicht zu ehrende, ja zu verurteilende Aspekte. Die Verbindungen Petersens zur NS-Ideologie und zu den NS-Machtstrukturen sind nicht zu leugnen, klein zu reden oder irgendwie aufzuwiegen.

  2. Ebenso wenig hilfreich und historisch wenig reflektiert aber wäre es, den Namen einfach zu tilgen und durch einen anderen – welchen denn dann? – zu ersetzen. Vielmehr sollte die zum Teil schmerzliche, jedoch immer ernsthaft geführte Jenaer Debatte um Erinnern und Bewerten der Person Petersen und der Leistungen der Reformpädagogik genutzt werden.

  3. Als 1990 der Name Petersens für den Platz gefunden wurde, geschah dieses ebenfalls im Zuge einer Umbenennung. Der Platz hieß während der DDR-Zeit „Karl-Marx-Platz“. Und als er 1946 diesen Namen erhielt, war es erneut eine Umbenennung: Der (ursprünglich „Wöllnitzer“) Platz hieß nach Errichtung der NS-Diktatur „Adolf-Hitler-Platz“, damals in direkter NS-Nachbarschaft zur „Wilhelm-Frick-Straße“ (heute „Friedrich-Engels-Straße“)

  4. Diese in großer Deutlichkeit „sprechende“ Namensgeschichte des Platzes, die auch als sprechende Geschichte historischen Irrens gelesen werden kann, zeigt jedoch die Richtung: Der Platz bietet durch seine Geschichte die Möglichkeit aufzuzeigen, wie wichtig historisches Erinnern ist, um für die demokratische Gegenwart und Zukunft wirkungsvolle Schlüsse ziehen zu können.

  5. Wir schlagen deshalb vor, dem Platz den Namen "Platz des Erinnerns" zu geben und dem Platz gleichzeitig eine Funktion lebendiger Erinnerungsarbeit zu verleihen. Dies soll ermöglicht werden durch eine Abfolge von verständlich geschriebenen und gut dokumentierten Informationstafeln, die a l l e bisherigen Benennungen vorstellen und historisch einordnen. In diesem Rahmen kann auch der Person Petersen, seiner unbezweifelten pädagogischen Leistungen wie auch seinen Verstrickungen im Nationalsozialismus verantwortungsvoll Rechnung getragen werden. Der Platz kann so – für die Jenaer Schulen, für die Erwachsenenbildung, für einheimische Passanten und Gäste der Stadt – zu einem lebendigen und sprechenden Geschichtsort der Stadt Jena werden. Nicht zuletzt: Für die Textgestaltung der Tafeln, auch für pädagogische Begleitmaterialien stehen in Jena kompetente Fachkräfte zur Verfügung (Geschichts- und Erziehungswissenschaft, Stadthistoriker, Stadtmuseum, unser eigener Arbeitskreis).

  6. Wir stellen uns vor, dass für eine solche Benennung, Gestaltung und öffentliche Nutzung des Platzes Jenaer Schulen eine Art lokal- und zeitgeschichtliche Patenschaft übernehmen, weil es an diesem Platz möglich ist, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihren Wirkungen auf die Gegenwart anschaulich an junge Menschen zu vermitteln. Hierbei können auch die unmittelbar benachbarten Schulen, die Kooperative Gesamtschule (KGS) „Adolf Reichwein“ und die Karl-Volkmar-Stoy-Schule, natürlich auch die Jenaplanschule in besonderer Weise einbezogen werden.

Der „Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit“ bittet den Kulturausschuss, am 9. Februar 2010 diesen Vorschlag in seine Überlegungen um die Platzbenennung einzubeziehen.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Arbeitskreis „Sprechende Vergangenheit

Dr. Gisela Horn